Biografien – Lebensgeschichten – sind etwas Einmaliges. Ein Lebensabschnitt wird zurückschauend betrachtet und gewürdigt. Das Ziel muss nicht unbedingt in einem Teilen mit anderen oder gar in einer Veröffentlichung liegen. Oft ist das Bewegendste an einer Lebensgeschichte der persönliche Gewinn für die Verfasserin oder den Verfasser: sich selber besser zu verstehen.
Denn in der Rückschau verstehen wir die Ereignisse oft anders, als wenn wir mittendrin stecken. Die damit verbundenen Emotionen sind mitunter durch die zeitliche Distanz weniger heftig, möglicherweise auch weniger bedrohlich. Zudem sehen wir Jahre später andere Zusammenhänge und können unsere eigene Entwicklung nachvollziehen.
Wie kommen wir nun aber beim Verfassen einer Autobiografie zu möglichst viel Verständnis für uns selbst? Sicher nicht, indem wir einfach Anekdote an Anekdote reihen, also rein faktisch berichten, was war. Es geht im Gegenteil darum, zu schildern, was wir erlebt und durchlitten haben und was dies mit uns gemacht hat.
Wie war das für mich? Was habe ich gestaltet, wo war ich passiv? Worauf bin ich stolz, was bereue ich, was bin ich schuldig geblieben? Und wie stehe ich heute dazu? Dies sind Fragen, die wir uns beim Schreiben stellen sollten, um dem Geschriebenen mehr Tiefe zu verleihen und uns selbst besser zu verstehen.
Verstehen ist nicht gleich gutheißen. Wir können und sollen durchaus kritisch Stellung nehmen. Wenn das aber gelingt, können wir uns auch eher selber verzeihen oder das Geschehene wenigstens annehmen.
Im Grunde zeigt sich in einer Lebensgeschichte und in der Art, wie sie erzählt wird, das Wesen des Menschen. Oft stellen wir fest, dass uns viel Schönes und Gutes vergönnt war. Nach dem Schreiben sind manche Menschen denn auch dankbar und gewissermaßen versöhnter mit ihrem Leben.
Doch auch die Erfahrung, dass das Leidvolle nicht unter den Teppich gekehrt wird, man damit vielleicht von anderen gesehen wird, kann stärken. Sich selber zu würdigen, zu seiner Lebensgeschichte zu stehen und sich selbst zu verstehen, das sind für mich die heilsamsten Elemente des biografischen und expressiven Schreibens.
Wie ein Teppich sein unverwechselbares Muster enthüllt, so lesen wir am Lebenslauf, am Werden, das Wesen der Person ab.
Viktor Frankl
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