Wer schwierige oder gar traumatische Erlebnisse durchmacht, kann diese meist besser verarbeiten, wenn er oder sie darüber spricht. Wie die Forschung gezeigt hat, kann sich auch das expressive Schreiben über wesentliche Fragen des eigenen Lebens positiv auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirken.
Der Traumaforscher und Psychologe James Pennebaker ging in den 1980-er-Jahren der Frage nach, wie sich traumatische Erfahrungen auf die Gesundheit der Menschen auswirken. Er stellte fest, dass es Menschen, die ein traumatisches Erlebnis als Geheimnis behandelten, schlechter ging als solchen, die darüber reden konnten.
Pennebaker wollte wissen, ob das Schreiben ähnlichen Nutzen bringen könnte, und überprüfte dies in einer ersten Studie. Der Forscher ließ rund 50 seiner Studentinnen und Studenten vier Tage in Folge jeden Tag für 15 Minuten schreiben.
Weniger Arztbesuche
Per Münzwurf wurden die Schreibaufgaben zugeordnet: Die eine Gruppe schrieb expressiv über emotionale und traumatische Ereignisse und wurde angeregt, alle Emotionen – positive wie negative – zu betrachten. „Expressiv“ bedeutet in diesem Zusammenhang, sich zu öffnen und zuvor zensierte und unterdrückte Emotionen zuzulassen. Die andere Gruppe schrieb über oberflächliche, nicht emotionale Themen.
Die Gruppe, die expressives Schreiben betrieben hatte, wies in den Wochen und Monaten nach der Studie über 40% weniger Arztbesuche auf als die Testpersonen der Kontrollgruppe. Die expressiven SchreiberInnen gingen nur noch halb so oft zum Arzt wie normalerweise. Drei weitere Studien an (relativ gesunden) College-Studierenden konnten diese Resultate replizieren.
Mittlerweile sind hunderte Studien über das expressive Schreiben erschienen. Sie sagen auch etwas darüber aus, wem diese Methode unter welchen Umständen wie gut hilft und warum.
Boost fürs Immunsystem
Das Schreiben über emotionale Inhalte kann die Immunfunktion des Körpers stärken. Möglicherweise kommt dieser Effekt dadurch zustande, dass das expressive Schreiben in der Lage ist, längerfristig Stress zu vermindern. Den genauen Mechanismus hat die Wissenschaft allerdings noch nicht entschlüsselt.
Ebenfalls unklar ist, wie sich dieser Immun-Boost auf die Gesundheit der Menschen auswirkt. Soziale Faktoren – etwa die Frage, ob ein Mensch Vertrauenspersonen hat, denen er sich zuwenden kann, spielen ebenfalls eine Rolle. Nicht zuletzt könnte das Schreiben indirekte Wirkung entfalten, etwa dadurch, dass Menschen besser auf sich Acht geben und gesünder leben.
Einzelne Krankheitsbilder, auf die sich expressives Schreiben günstig auswirken könnte, wurden ebenfalls erforscht. Positive Effekte zeigten sich etwa bei Asthma, rheumatoider Arthritis, Fibromyalgie, Reizdarmsyndrom, HIV, verschiedenen Arten von Krebs, Herzkreislauferkrankungen wie Bluthochdruck und Herzinfarkten, Diabetes sowie bei Gemütskrankheiten wie Depressionen, bipolaren Störungen und posttraumatischer Belastungsstörung (PTSB).
James Pennebaker verweist selbst immer wieder darauf, dass expressives Schreiben kein Wundermittel ist. Man kann nicht erwarten, dass HIV oder Krebs durchs Schreiben geheilt werden, und es ist kein Ersatz für eine adäquate Therapie. Dennoch kann das Schreiben über emotionale Krisen unter Umständen zu einem besseren Umgang mit einer Krankheit und zu mehr Lebensqualität beitragen.
Nicht alle profitieren
Natürlich gibt es immer wieder Menschen, denen das expressive Schreiben nicht zu einer besseren Gesundheit oder weniger Leiden verhilft. Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen, die Aggressionen hegen oder keinen guten Zugang zu ihren Emotionen haben, tendenziell stärker vom expressiven Schreiben profitieren als reflektiertere Menschen.
Auch Menschen, die wenig Freunde oder soziale Kontakte haben, denen sie sich anvertrauen, kommt das expressive Schreiben in der Regel eher zugute.
Aus den Asthma-Studien gibt es zudem Hinweise, dass Menschen, die mittelstark beeinträchtigt waren, am meisten vom Schreiben profitierten. In den schlimmen Fällen war die Methode vielleicht nicht stark genug, um zu helfen, bei den leichten AsthmatikerInnen wiederum gab es möglicherweise nicht genug Raum für Verbesserungen.
Nach vorläufigen Ergebnissen scheint zudem die Art der Schreibinstruktion eine Rolle zu spielen. So wirkte eine um existenzielle Gedanken erweiterte Schreibaufgabe zum Umgang mit einem belastenden Erlebnis bezüglich Depressivität und Traumasymptomatik noch besser als die herkömmliche Instruktion.
Mögliche Gefahren
Kann das expressive Schreiben auch Schaden anrichten? Die Angst vor Kontrollverlust steht im Raum. Pennebaker schreibt dazu, dass es denkbar ist, dass Menschen beim Eintauchen in ihre traumatischen Erlebnisse durchdrehen könnten. Er habe es allerdings in all den Jahren seiner Erfahrung nie erlebt.
Bekannt ist, dass Menschen sich unmittelbar nach dem expressiven Schreiben oft traurig fühlen. Pennebaker rät in seiner sogenannten Flip-out-Regel dazu, schlicht nicht über ein Thema zu schreiben, bei dem man befürchtet, dass es einem zu nahe geht.
Eine Gefahr ist, dass man sich im Kreis dreht, und immer wieder über das gleiche Thema in der gleichen Art schreibt. Diese Fixierung ist laut Pennebaker wenig hilfreich und könnte ein guter Grund sein, sich professionelle Hilfe zu holen, zum Beispiel bei einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten.
Die größte „Gefahr“ ortet Pennebaker in der Tatsache, dass das expressive Schreiben unser Leben verändern kann. Manchmal kommen Menschen dadurch zu Einsichten, die sie dazu bringen, ihr Leben neu zu ordnen. Sie lassen sich scheiden, wählen einen neuen Beruf oder beenden Freundschaften. Dies kann auch für Dritte gravierende Veränderungen mit sich bringen.
Literatur:
- Gebler, F. A. & Maercker, A. (2007). Expressives Schreiben und Existentialität bei der Bewältigung traumatischer Erlebnisse. Eine erste Interventionsstudie. Trauma & Gewalt, 4, 264-272.
- Pennebaker, J. W. & Evans, J. F. (2014). Expressive Writing. Words that Heal. Using expressive writing to overcome traumas and emotional upheavals, resolve issues, improve health, and build resilience. Enumclaw: Idyll Arbor.
- Pennebaker, J. W. & Smyth, J. M (2016). Opening Up by Writing It Down. How Expressive Writing Improves Health and Eases Emotional Pain (3rd ed.). New York. Guilford Press.
- Vopel, K. W. (2015). Expressives Schreiben. Ein Programm zur seelischen Immunisierung (2. Aufl.). Salzhausen: iskopress.
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